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    "Desert of Real"

    Jan von Wanheda im Interview

    Interview von Anne
    18.01.2022 — Lesezeit: 6 min
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    "Desert of Real"
    Bild/Picture: © Wanheda

    Mit dem neuen Album "Desert of Real" möchte das belgische Post-Rock Kollektiv Wanheda die Eitelkeit und Egozentrik der Menschheit in der Gegenwart hinterfragen. Es ist damit eine indirekte Fortsetzung der 2018 unabhängig davon veröffentlichten EP "Cenozoic Explosion".

    Schon damals beschäftigte sich die Band mit der menschlichen Gier und dem Einfluss unserer unaufhaltsamen Zerstörung des Planeten und schaffte es damit, die Aufmerksamkeit der Post-Music Szene auf sich zu ziehen.

    Griechische Mythologie und Gegenwart

    Wanheda (Gruppe aus sechs Personen in lässiger Kleidung) stehen vor drei Neonleuchten auf einer nächtlichen Wiese.
    Wanheda

    Die sechs Musiker aus Leuven liefern mit "Desert of Real" ein zeitgemäßes Album voll lebendiger Musikstücke ab. Ihre Kunst erinnert nicht nur an Monos zauberhafte und wehmütige Klänge, sondern auch an die Zuversicht und Energie der Musik von Bands wie Caspian und This Will Destroy You. Bei der Kreation ihrer Platte haben sie sich dieses Mal komplett auf das Thema Technologie-Abhängigkeit und unsere Beziehung zu den sozialen Netzwerken konzentriert. Als Basis dafür haben sie "das Urteil des Paris" aus der griechischen Mythologie verwendet. Die Geschichte ist eine Allegorie für die Qualen der Technologie und die Selbst-Obsession, die sie hervorrufen kann.

    Wanheda haben ihr Album produziert, wie man es zum Beispiel aus der Regiearbeit in der modernen Oper kennt. Sie haben eine klassische Geschichte aufgegriffen und sie in ein modernes Umfeld versetzt. Das Thema und die Erzählung werden dadurch für das Publikum realer und spürbarer. In ihrer Musik spiegelt sich das in Form eines Spiels aus düsteren und trügerisch-schweren Momenten und leichten, hellen und klaren Sequenzen wider. Ihre Einflüsse sehen Bandgründer Jan Verduyckt und seine Crew vor allem im ursprünglichen Post-Metal und Post-Rock, aber auch in Bluesrock und klassischer Gitarrenmusik. Ich habe jetzt die Chance ergriffen und mich mit Gitarrist Jan Boucké zum Interview verabredet.

    Anne: Hallo Jan! Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Wie geht's? Ich bin mir sicher, Ihr freut Euch schon auf die Veröffentlichung von "Desert of Real" am 2. Februar? Gratulation dazu, übrigens! Ich mag das Album sehr! Es ist wirklich klasse – sehr durchdacht und gleichzeitig zauberhaft! Ich mag die kinematischen Komponenten sehr!

    Jan: Danke für die Einladung! Für uns als Band ist das eine besondere Zeit. Wir haben in den letzten Jahren hart an der Veröffentlichung neuer Stücke gearbeitet. Jetzt ist es endlich so weit und wir sind gleichzeitig glücklich und nervös. Es ist immer spannend, neue Musik zu veröffentlichen. Wir sind sehr gespannt, wie unser neues Album ankommen wird. Wir freuen uns wirklich sehr darauf und können kaum noch abwarten, bis es endlich losgeht! Seit wir das letzte Mal live gespielt haben, sind mehr als zwei Jahre vergangen. Nach all dieser Zeit wollen wir endlich wieder auftreten. Wir hoffen sehr, dass unsere geplanten Shows stattfinden können, obwohl COVID ja leider nach wie vor für Schlagzeilen sorgt. Vielen Dank, dass Du Dir die Platte angehört hast und für Deine lieben Worte, Anne!

    Anne: Was ist die Bedeutung von "Desert of Real"? Du hast mir erzählt, es geht um Social Media Sucht?

    Die Sucht nach sozialen Medien

    Jan: "Desert of Real" handelt von den Gefühlen, die mit der Sucht und dem Kampf gegen die Sucht verbunden sind. Uns ging es besonders um die Sucht nach sozialen Medien, Smartphones und Technologie im Allgemeinen. Es geht aber auch um die (psychischen) Folgen, die mit der Sucht nach sozialen Medien einhergehen und um die Zwietracht, die die verstärkte Nutzung sozialer Netzwerke und moderner Technologien in der Gesellschaft schürt.

    Anne: Als Grundlage habt Ihr eine klassische Geschichte verwendet: "Das Urteil des Paris" aus der griechischen Mythologie. Möchtest Du mir mehr darüber erzählen?

    Jan: Da die Technologie zunehmend zur Religion des 21. Jahrhunderts wird, haben wir unserem Album eine göttliche Intervention verpasst. Wir haben die Geschichte als Allegorie für die Qualen der Technologie und Selbst-Obsession, die durch sie hervorgerufen werden kann, verwendet. Die Technologie und die sozialen Medien werden als die altgriechische Göttin des Streits und der Zwietracht Eris dargestellt. Sie wirft den Apfel der Zwietracht in unsere Gesellschaft. Es ist ein Geschenk an "die Schönsten" und dient damit als Nährboden für Narzissmus.

    Wanheda (sechs Personen in lässiger Kleidung) stehen auf einer Wiese. Es ist heller Tag.
    Wanheda

    Anne: Man könnte also sagen, dass das Album eine wahre Geschichte erzählt?

    Jan: Obwohl wir Lust hatten, ein Konzeptalbum zu machen und ihm durch das gewählte Thema eine Bedeutung zu geben, überlassen wir den Hörer*innen die Schlussfolgerungen. Uns ging es nicht so sehr darum, von einer drohenden technischen Dystopie zu predigen. Wir wollen vielmehr unsere Gefühle zu diesem Thema erforschen und zum Ausdruck bringen. Es ist uns sehr wichtig, dass unsere Musik Emotion hervorruft – was auch immer eine Person beim Hören unserer Songs fühlen mag.

    Anne: Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, diese Geschichte zu verwenden?

    Die Eitelkeit und Egozentrik der Menschheit

    Jan: Während wir diese Songs geschrieben und angehört haben, spürten wir selbst Gefühle und Widersprüche darin. Es waren Gefühle wie Verzweiflung, Melancholie, Euphorie, Nostalgie und Glückseligkeit. Es macht uns Spaß, über gesellschaftlich relevante Themen zu sinnieren. Unsere Debüt-EP "The Cenozoic Implosion" handelt ja von der Gier der Menschheit und unseren Einfluss auf den Planeten. Ich denke, wir hatten einfach Lust, unsere Vorliebe, die Eitelkeit und die Egozentrik der Menschheit zu hinterfragen, auf unserem neuen Album fortzusetzen.

    Anne: Das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen. Habt Ihr das Album komplett selbst aufgenommen oder habt Ihr mit Toningenieuren, einem Label oder einem Studio zusammengearbeitet?

    Jan: Danke! Wir haben dieses Mal alle Instrumente im Masterplan Music Studio aufgenommen. Es ist das wundervolle Studio von Stijn Debontridder. Wir haben außerdem mit unserem Producer, Toningenieur und ehemaligen Gitarristen Jan Peeters aka JP zusammengearbeitet. Er hat unsere Songs auf ein neues Level gehoben. Wir haben uns dafür entschieden, echte Streicher aufzunehmen – das haben wir bei unserer EP noch nicht gemacht. Jolien Deley hat uns bei "Desert of Real" am Cello unterstützt, Griet Wiame an der Violine und Tim De Jonghe an der Trompete. Ich danke, das alles macht es zu einem erwachsenen und durchdachten Album!

    Anne: Ihr habt Euch 2016 gegründet und 2018 Eure erste Platte "The Cenozoic Implosion" veröffentlicht. Was würdest Du sagen, hat sich seit dieser Zeit verändert? Für Euch als Band, in Bezug auf Euren musikalischen Stil und insgesamt?

    Jan: Wir haben Wanheda 2016 gegründet und erst 2017 als komplette Band gemeinsam angefangen zu proben, nachdem Jasper zu uns gestoßen war. Ich denke, dass sich seitdem sehr viel geändert hat. Wir haben eine Menge Shows gespielt und waren auf Tour. Das sind alles positive Erfahrungen, die man als Individuum mitnimmt und einen als Band formen. Eine Gruppe aus sechs Individuen wird außerdem zwangsläufig irgendwann auf Hindernisse stoßen.

    Wenn man es schafft, sie zu überwinden, stärkt das die Gruppe. Wir sind alle ein paar Jahre älter geworden und auch das hört man unserer Musik an. Das und die veränderte Herangehensweise beim Schreiben und Aufnehmen hat, denke ich, zu einem reiferen Album geführt.

    Anne: Was hat es mit der belgischen Post-Music Szene auf sich? Ich meine, es gibt so viele Projekte und Bands und Fanzines und unser geliebtes DUNK!festival und DUNK!record und das alles. Irgendwie fühlt sich das alles wie eine große Familie an! Was meinst Du, hat dazu geführt, dass sich so etwas Großartiges entwickeln konnte?

    "Die Menschen in der Post-Rock Szene sind offen und freundlich"

    Jan: Mir geht es genauso, aber ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie sich das so entwickeln konnte. Als Fans von Post-Music sind wir schon seit Jahren beim DUNK!festival dabei. Du kannst einfach nichts dagegen tun, als es zu einer jährlichen Tradition werden zu lassen. Es kommt uns so vor, als wären die Menschen innerhalb dieser "Szene" alle super freundlich, offen, hilfsbereit und dankbar. Ich denke Menschen wie wir lieben es, sich mit solchen Menschen zu umgeben.

    Wanheda – "Desert of Real" Album-Cover (Eine Person steht mit offenem Mund vor einem Vordergrund aus Nullen und Einsen)
    Wanheda – "Desert of Real"

    Anne: Euer Musikstil ist sehr vielseitig. Ich kann mir vorstellen, dass Ihr damit Fans von Bands wie Mono oder Caspian und anderen emotionalen und melodischen Post-Rock-Bands sehr leicht anstecken könnt. Würdest Du sie als Eure Vorbilder bezeichnen? Gibt es noch weitere?

    Jan: Es hat alles mit unserem Lead-Gitarristen Jan Verduyckt aka JV angefangen, der ein großer Fan von Bands wie Mono, Sigur Rós und Yndi Halda ist. Andere Bands, die ihn dazu inspiriert haben, Songs für Wanheda zu schreiben sind Pink Floyd, Radiohead und April Rain, aber auch klassische Komponist*innen. Wir sind außerdem alle große Fans von Russian Circles und If These Trees Could Talk.

    Anne: Du hast es vorhin schon mal kurz angesprochen: Ihr seid zu sechst. Das sind eine Menge Leute. Ist es da immer einfach, einen gemeinsamen Nenner zu finden und all die kreativen Ideen zu vereinen?

    "Wir können uns alle kreativ entfalten"

    Jan: Ich kann mir zwar vorstellen, dass dieser Prozess in einer kleineren Gruppe durchaus einfacher sein kann, aber bis jetzt hat es bei uns noch keine größeren Probleme gegeben. JV ist unser Haupt-Songschreiber. Er bringt dadurch auch die meisten musikalischen Ideen ein. Trotzdem haben wir immer genau Raum für Input aus allen Richtungen.

    Anne: Neben Interviews, Bandcamp und Social Media: Plant Ihr auch noch weitere Events rund um Euren Release? Ich nehme an, Konzerte sind, zumindest im Moment, erstmal keine Option?

    Jan: Wir hatten uns für diesen besonderen Moment natürlich eine bessere Situation erhofft. Leider sieht es jedoch ganz danach aus, als würde das Jahr 2022 auch erstmal im Zeichen von Corona stehen. Wir hoffen natürlich trotzdem, dass wir viele Shows spielen werden! Wir haben in den kommenden Monaten einige Auftritte geplant. Der erste sollte am 5. Februar in Ghent stattfinden, wobei immer noch unklar ist, ob er unter den gegebenen Umständen stattfinden kann.

    "Wir wollen auf Tour gehen"

    Unsere Release-Show haben wir für den 26. Februar in unserer Heimatstadt Leuven geplant – mit Capitan als Support. UND: Wir planen eine Tour für Oktober und November. Dann werden wir auf jeden Fall auch in Deutschland spielen!

    Anne: Vielen Dank für das inspirierende und sympathische Interview! Es war mir eine Freude! Ich wünsche Euch viel Erfolg mit "Desert of Real"! Wir sehen uns auf dem DUNK!

    Jan: Vielen Dank, Anne! Hoffentlich auf bald!

    Wanheda sind: Jan Boucké (Gitarre), Jan Verduyckt (Gitarre), Nick Van Vynckt (Bass), Quinten Van Gils (Drums), Jasper Simon (Keys) und Jan Peeters (Production & Gitarren).

    Wanheda – "A Desert of Real"

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