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    "Diese Katze steht nur auf, wenn es ans Tanzen geht!"

    Kara Delik über ihr Album "All The Singularities (I – IV)"

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    Interview von Anne
    24.01.2024 — Lesezeit: 7 min
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    "Diese Katze steht nur auf, wenn es ans Tanzen geht!"
    Bild/Picture: © Kara Delik

    Kara Delik – das ist das sagenhafte internationale Trio, das die Berliner Musikszene im Sturm erobert hat. Die Band, bestehend aus Barış Öner (Istanbul Ghetto Club, [Saz]), Andi Sommer (Henry Fonda, Yacht Communism, [Bass, Synths]) Eilis Frawley (Anika, Laura Lee & The Jettes, [Drums]), verbindet komplexe Rhythmen mit spannenden Soundscapes und Effekten. Das Ganze reichern die drei gekonnt mit einer Mischung aus Post-Punk und anatolischen Sounds an. Erst kürzlich feierten sie mit ihrem Album "All The Singularities (I – IV)" einen großen Erfolg und gehen demnächst auf Tour – Zeit für ein Interview auf Sounds Vegan!

    Anne: Hi! Danke, dass Ihr Euch die Zeit für Euch nehmt! Wie war Euer Tag bis jetzt und was habt Ihr heute noch vor?

    Andi: Hi! Für mich war es bis jetzt ein ziemlich entspannter Sonntag, aber ich spreche jetzt mit Dir aus dem Waschsalon und wasche nebenbei meine Wäsche (lacht).

    Eilis: Ich bin langsamer als Andi. Es ist Montagmittag, ich komme gerade aus dem Deutschunterricht, wo ich eine Menge über eine Vergangenheitsform gelernt habe, an die ich mich vermutlich schon bald nicht mehr erinnern und die ich niemals verwenden werde.

    Barış: Ich hatte am Wochenende eine Lebensmittelvergiftung (vermutlich lag es am Fleisch). Vielleicht ist das ein Zeichen für mich, endlich vegan zu werden?

    Anne: Das klingt für mich nach einer ziemlich guten Idee! Und ich glaube, die Tiere werden sich auch freuen (lacht).

    Ihr seid drei Freund*innen, die 2020 zusammen eine Band gegründet haben – auf der Basis ihrer Liebe für ungerade Takte und Krautrock. Das klingt nach einem wahr gewordenen Traum. Was hat sich seit Eurer Gründung verändert?

    Andi: Unsere Freundschaft und unsere gemeinsame Liebe für diese Dinge sind nach wie vor da. Ich glaube allerdings, dass uns nicht bewusst war, wie sehr uns dieses Projekt einspannen würde. Ich glaube, es ging mehr wie eine Art Experiment für uns los. Oder eine Möglichkeit, die lange Zeit während COVID zu überbrücken, als wir so viele andere Dinge nicht machen konnten.

    Eilis: Wir haben einander eine gottlose Menge an Nachrichten geschickt. In einer sehr aktiven Band zu sein bedeutet, dass Du jeden Tag 10.000 Entscheidungen treffen musst. Das fühlt sich nach wie vor ziemlich bekloppt an.

    Anne: Wie hat die Berliner Musikszene bis jetzt auf Eure Musik reagiert?

    "Viele Menschen aus den unterschiedlichsten Szenen kommen zusammen"

    Kara Delik. Bild/Picture: Kara Delik
    Kara Delik. Bild/Picture: Kara Delik

    Andi: Bis jetzt ist es überwältigend, um ehrlich zu sein. In unserem ersten Jahr haben wir ein paar "Berlin Tours" gemacht – wir haben übers Wochenende zahlreiche Shows in unterschiedlichen Venues in Berlin gespielt. Während wir gedacht haben, dass das nur wieder eine unserer dummen Ideen ist, stellte sich heraus, dass die Shows alles andere als das waren. Sie waren angenehm und echt überraschend! Was am Anfang besonders faszinierend war, ist, wie viele unserer Freund*innen aus den unterschiedlichsten Szenen und mit verschiedenen Backgrounds etwas daran finden, das ihnen gefällt (und sie kommen wieder, haha).

    Eilis: Ich liebe es, dass die Leute wieder kommen. Es ist eine kleine Gemeinschaft, die immer weiter wächst. Es gibt keine typischen Kara Delik Fans, was sich sehr erfrischend anfühlt. Da ist zum Beispiel diese Dame, die in meinem Lieblings-Buchladen arbeitet, die zu unseren Konzerten kommt. Ich liebe das!

    Barış: Es gibt diesen weltweiten Trend, alles zuerst in eine Kategorie einzuordnen, um sich sicher zu fühlen. Ich realisiere gerade, dass Menschen unsere Musik immer noch nicht in einer Kategorie untergebracht oder einer bestimmten Szene zugeordnet bekommen, zu der sie gehören könnte. Uns hilft das sehr dabei, nicht zu konservativ zu werden im Hinblick auf Musik, Menschen und Kulturen.

    Anne: Ihr habt innerhalb kürzester Zeit eine ganz schön beachtliche Menge an Musik veröffentlicht. Vier EP im Jahr 2023, die ihr Endes des Jahres zu Eurem ersten Album "All The Singularities (I – IV)" zusammengefügt habt und die EP "Tamam" von 2022. Respekt an dieser Stelle! Wollt Ihr mir erzählen, welches Stück Euch persönlich am besten gefällt und warum das so ist?

    Andi: Danke Dir! Ich denke, dass wir alle irgendwo unsere versteckten Juwelen auf unseren Platten haben. Ich kann mich nicht wirklich für eine bestimmte Veröffentlichung entscheiden, meine Lieblingsstücke sind überall verteilt. "Strange Attractor" spiele ich am liebsten live, aber einige Tracks von der Demo, wie "Phew" werden auch niemals alt. Glücklicherweise gibt es diese kleinen Puzzlestückchen innerhalb jedes Songs, zu denen ich immer wieder gerne zurückkehre.

    Eilis: Meine Lieblingsstücke sind auf 'Singularities II'. Es macht so viel Spaß, diese Stücke live zu spielen. Sie haben alle ihren eigenen Charakter und sie fühlen sich als EP super an. "Dogs" ist so ein krasser Song mit einer sehr wirren (oder fehlenden) Struktur und ich liebe seine Wendungen und Verzweigungen. Am stolzesten bin ich auf "Phew", weil ich keine Ahnung hatte, was ich da tue und dennoch ist es ein starker Song geworden.

    "Das türkisfarbene Vinyl erinnert mich an die Ägäis"

    Kara Delik. Bild/Picture: Kara Delik
    Kara Delik. Bild/Picture: Kara Delik

    Barış: Sie sind alle unsere Babys. Ich mache Witze. Ich mag "Singularities III" am liebsten, weil wir uns für türkisfarbenes Vinyl entschieden haben und diese Farbe erinnert mich an das ägäische Meer.

    Anne: Das ist eine schöne Verknüpfung! Ich mag auf "All The Singularities" den Song "Hayvan" besonders gerne. Wollt Ihr mir erzählen, wovon das Stück handelt?

    Andi: Als wir uns mit Reuben, der die tolle Animation für das Video gemacht hat, unterhalten haben, haben wir ihm gesagt, es handelt von einer schwarzen Katze, die Polizeiautos anzündet. Aber ich glaube, Barış kann Dir dazu mehr erzählen.

    Barış: Tatsächlich handeln diese Lyrics im Original von einem bestimmten faschistischen Staatsoberhaupt und die schwarze Katze repräsentiert ihn.

    "He doesn't walk around here; he sits on the balcony, looking down."

    Meine Liebe für Katzen hat mich dann davon abgehalten, eine Katze als Symbol für einen Faschisten herhalten zu lassen und habe den zweiten Teil der Worte geändert. Auf der anderen Seite können ja auch Menschen, die man von Herzen sehr liebt, über Nacht zu Faschist*innen werden. Unsere Katze in dem Song ist allerdings zu faul, um eine Faschistin zu werden. Sie bewegt sich nur, wenn es ans Tanzen geht.

    Kara Delik – "Hayvan"

    Anne: In manchen Eurer Songs (z. B. "Hayvan") setzt Ihr mit anatolischen Einflüssen schöne Akzente – ich mag das sehr (Ich habe auch eine Saz hier und wünschte, ich könnte sie spielen). Was verbindet Euch mit dieser Musik, mit der Sprache und dem Gesang?

    Andi: Vor diesem Projekt hatte ich nur sehr wenig Berührungspunkte mit dieser Art Musik. Unsere Band hat mich dazu motiviert, tiefer einzusteigen und ich fand ihre Geschichte und Traditionen von Anfang an faszinierend. Es ist die Art vieler Künstler*innen, Traditionelles neu zu interpretieren. Durch die verschiedenen Dinge, die man lernt über Rhythmen und Tonleitern haben mich schnell realisiert, wie eingeschränkt meine westliche Prägung im Hinblick auf meine Hörgewohnheiten ist.

    Barış: Die 9/8-Sektion nach dem Intro nennt man Roman Havasi (Traditional Gipsy Style). Dieser Rhythmus gehört zum Eastern Thrace und wird vor allem auf Hochzeiten und bei Feiern gespielt. Es ist ein überaus meditativer und spannender Tanz, indem man die Hüften als Zentrum der Schwerkraft bewegt. Traditionell kommt in dieser Art Musik keine Saz vor, aber das ist ok, wir sind Berlin, wir müssen uns nicht an Traditionen halten, oder?

    Anne: Insgesamt habe Ihr viele Berührungspunkte mit zahlreichen Genres, die wohl die meisten Menschen nicht miteinander in Verbindung bringen würden – und Ihr macht das verdammt gut! Von Post-Punk über New Wave bis zu den eben erwähnten anatolischen Klängen und – nicht zu vergessen – Krautrock. Glaubt Ihr, dass es an der Zeit ist, dass wir Genres für immer hinter uns lassen? Ich persönlich glaube ja, dass Menschen sich eher auf Musik einlassen, wenn man sie ihnen nicht mit einem bestimmten Label präsentiert, dem man es angeblich unterordnen sollte. Ist das so?

    Andi: Offen gestanden mag ich die Vorstellung von Genres. Die Vorlage, die sie einem bieten, kann ein interessanter Startpunkt sein, um sich zu ändern. Der spannendste Teil ist es dann natürlich, diese Blaupause zu verändern, die Regeln zu brechen und die Musik mit etwas zu verbinden, das da "nicht hingehört". Allerdings ist es wirklich nahezu unmöglich, etwas nur einem einzigen Label zuzuordnen. Wenn es jedoch viele Referenzen gibt, kann es eine gute Sache sein, viele Menschen mit unterschiedlichen Interessen auf etwas Neues aufmerksam zu machen.

    Anne: Wer sind Eure wichtigsten Einflüsse?

    "Wir freuen uns darauf, durch Europa zu touren!"

    Kara Delik – "All The Singularities (I – IV)". Bild/Picture: Kara Delik
    Kara Delik – "All The Singularities (I – IV)". Bild/Picture: Kara Delik

    Andi: Oh, das ist wirklich schwer zu sagen. King Gizzard war einer der ersten Namen, auf die wir uns einigen konnten, obwohl sich das, was wir uns daheim anhören, stark voneinander unterscheidet. Allerdings habe ich mich in letzter Zeit sehr für diese Neo-Soul- und Jazz-Welle aus der UK interessiert, die auch auf die eine oder andere Weise ihren Weg in einige unserer Songs gefunden hat.

    Eilis: Ich liebe all die seltsamen neuen Sachen, die kleinen Bands aus Städten, von denen man noch nie gehört hat. Die britische DIY-Szene ist sehr attraktiv, vor allem was das Songwriting angeht. Mein Herz wird immer für die australische Szene schlagen, Amyl and the Sniffers, Tropical Fuck Storm, Courtney Barnett, C.O.F.F.I.N.

    Barış: Mustafa Kandirali (Klarinettenspieler), Derdiyoklar (Duo aus Berlin aus den 1980er-Jahren mit Schlagzeug und Saz), Britney Spears, Mozart und MF Doom, Tamburi Cemil Bey (Multi-Instrumentalist und Komponist aus der ottomanischen Zeit).

    Anne: Ihr plant gerade Eure erste ausgedehnte Europatour. Das stelle ich mir aufregend vor. Auf welche Städte freut Ihr Euch besonders? Ihr habt ja auch ein paar echt coole Festivals auf Eurer Liste stehen!

    Andi: Ja, wir sind schon sehr gespannt! Unser letzter Auftritt in Wien war für uns ein besonderes Highlight, also freue ich mich auf jeden Fall schon mal auf diese Stadt. Aber auch die Städte in Italien und Frankreich werden etwas Besonderes für mich werden, vor allem, weil ich sie zum ersten Mal bereisen werde.

    Eilis: Ich kann es nicht erwarten, in Mailand zu spielen. Ich habe gehört, dass es direkt bei der Konzerthalle eine exzellente Bäckerei geben soll! Ich liebe es, in neuen Locations zu spielen und es werden so viele sein dieses Mal.

    Barış: Wir werden auf dem Ment Festival in Slowenien spielen. Es ist der Gig, der meiner Heimatstadt am nächsten liegt. Meine Familie stammt ursprünglich aus dem Balkan und ich bin sehr neugierig, die Reaktion meiner lieben Mitbürger*innen aus dem Balkan zu erleben – besonders, wenn wir Rhythmen spielen werden, die zu dieser Region gehören.

    Anne: Danke für das spannende Interview! Es war mir eine Freude, Euch kennenzulernen! Alles Gute für Eure Pläne!

    Kara Delik Line-up:

    Barış Öner (Istanbul Ghetto Club) – Saz

    Andi Sommer (Henry Fonda, Yacht Communism) – Bass & Synths

    Eilis Frawley (Anika, Laura Lee & The Jettes) – Drums

    Kara Delik – "Strange Attractor"

    Kara Delik – Tourdaten. Bild/Picture: Kara Delik
    Kara Delik – Tourdaten. Bild/Picture: Kara Delik

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