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    Lost in Kiev

    "Die Post-Rock Szene ist etwas Besonderes"

    Interview von Anne
    17.07.2020 — Lesezeit: 6 min
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    Lost in Kiev

    Es ist etwas passiert, das ich kaum zu Träumen gewagt hatte: Lost in Kiev haben sich zu einem Interview bereiterklärt. Die Post-Rock-Band aus Paris zeigte sich meinen Fragen gegenüber sehr offen.

    Das im Dezember erschienene Album "Persona" läuft bei mir nach wie vor auf Rotation. Zeit für ein paar Insider-Infos!

    Anne: Danke, dass Ihr Euch die Zeit für dieses Interview nehmt! Ich bin so gespannt, eine meiner Lieblingsbands kennenzulernen! Wie geht es Euch heute? Seit Ihr gerade in Paris? Wie ist die Atmosphäre dort?

    Alles öffnet sich wieder - bis auf die Live-Musik

    Lost in Kiev: Hallo Anne! Danke, dass Du uns zu diesem Interview eingeladen hast. Im Hinblick auf die derzeitige Situation geht es uns wirklich gut. Wir haben die Auszeit dazu genutzt, auf andere Art zusammenzuarbeiten. Wir teilen mehr Ideen über remote, als früher. Dieser kreative Prozess ist auf viele Weisen sehr interessant. Er erlaubt es uns, mehr an den Details unseres Pre-Production Materials zu arbeiten. Wir sind im Moment alle in der Gegend um Paris herum. Alles kehrt nach und nach zum Tagesgeschäft zurück - bis auf die Live-Musik.

    Anne: Ihr wärt wie viele andere Bands auch im Moment eigentlich gerade auf Tour. Stattdessen beschäftigt Ihr Euch mit neuem Material. Was macht Ihr noch, jetzt da die Musikszene dazu gezwungen ist, eine Pause einzulegen?

    LIK: Ja, wir hatten uns sehr auf die Tour dieses Frühjahr mit unseren Freunden von Pray For Sound gefreut. Leider wird sie wohl dieses Jahr nicht mehr stattfinden. Wir können die Zeit aber wunderbar dafür nutzen, Ideen für unser nächstes Album zu teilen. Konzept, Song-Ideen und Texturen. Wir sprechen auch sehr regelmäßig mit unserem Tour-Manager darüber, wie es weiter geht. Leider ist alles noch ziemlich unsicher. Vor dem Herbst oder sogar 2021 wird sich sicher nichts mehr ergeben.

    Anne: Leider konnte auch unser geliebtes DUNK! Festival durch die Corona-Krise nicht stattfinden. Ihr hattet auch vor, dort einen Gig zu spielen. Werde ich Euch dort 2021 treffen? 2017 habt Ihr dort ein fantastisches Konzert gespielt!

    Das DUNK! 2017 war magisch

    Dieses Foto habe ich auf dem magischen DUNK! Festival 2017 aufgenommen.

    LIK: Danke für Deine netten Worte zu unserer Show 2017. Es war eine großartige Erfahrung für uns an diesem Tag auf der Bühne. Wir können es nicht erwarten, wieder Teil dieser wunderbaren Bühne und dieses magischen Fests zu sein. Bis jetzt ist leider noch nichts wirklich sicher. Auch in Bezug auf das DUNK! Festival. Wir hoffen natürlich, dass wir dort mit allen unseren Freunden wieder spielen werden und dort jede Menge tolle Leute treffen werden.

    Anne: Euer aktuelles Album "Persona" (das ich sehr mag) ist von 2019. Danke für dieses Stück wahre Kunst. Was ist die Geschichte dahinter?

    LIK: Wir sind alle große Fans von Science-Fiction, Cyberpunk-Zeug und dystopischen Zukunfts-Phantasien. Außerdem sind wir natürlich große Fans der Serie "Black Mirror". Es war für uns also ganz natürlich, ein Album dieser Art aufzunehmen.

    "Wir erzählen Geschichten"

    Wir erzählen in unseren Alben gerne unsere eigenen Geschichten, indem wir unsere eigenen Texte und Samples kreieren. Das Konzept und die Grenzen künstlicher Intelligenz waren für uns das perfekte Thema und eine wunderbare Möglichkeit, unsere Meinung darüber und wie sie mit der Menschheit verbunden ist zum Ausdruck zu bringen.

    Alle Songs haben ihren eigenen Hintergrund und das Ergebnis zahlreicher Gespräche zwischen uns. Einige von uns sind außerdem große Fans von Synthesizern und Maschinen und es ist lange her, seit wir ein Album machen wollten, das mehr elektronisch ist. Dieses Mal war das Thema einfach wie dafür gemacht und wir haben versucht, die richtige Balance zwischen massiver Rock-Energie und Maschinen zu finden, um einen zugleich starken und Textur-reichen Sound zu erschaffen.

    Anne: Worum geht es in dem Song "Pygmalion"?

    "Künstliche Intelligenz kommt immer näher"

    LIK: In "Pygmalion" geht es um das extrem sensible Thema, wie sich uns die künstliche Intelligenz immer mehr nähert und sie immer mehr Teil der menschlichen Gesellschaft wird. Wir haben uns dieser Sprachnachricht einer Frau an ihren Mann bedient, um das zu illustrieren.

    Yonan Vermeulen. Bild/picture: Lost in KievYonan Vermeulen. Bild/picture: Lost in Kiev

    Anne: Ich mag Euren Bandnamen sehr. Für mich klingt er ziemlich mysteriös. Wollt Ihr mir seine Bedeutung verraten und mir erzählen, warum Ihr Euch "Lost in Kiev" genannt habt?

    LIK: Danke! Hinter diesem Namen steckt eine echte Geschichte. Unser ehemaliger Gitarrist hat eine Frau gedatet, die heute seine Frau ist. Diese Frau stammt aus Kiev. Er ist sehr oft dort hingereist, um die Wochenenden mit ihr verbringen zu können. Eines Tages ist er nicht zu unserer Bandprobe erschienen und wir haben einige Tage nichts von ihm gehört. Wir haben also Witze darüber gemacht, dass er "Lost in Kiev" ist. Zu dieser Zeit tobte dort ein heftiger Schneesturm. Der Name gefiel uns dann so gut, dass wir ihn einfach behalten haben. Er passt auch zu uns, weil das Reisen für uns sehr wichtig war und ist. Besonders damals zu Zeit unseres ersten Albums "Motions".

    Anne: Im Internet kann man lesen, dass Ihr Bands wie Red Sparrowes, Explosions in the Sky, Russian Circles, Mogwai und Maybeshewill mögt. Ich glaube, dass wir da eine Menge gemeinsam haben. Würdet Ihr sagen, dass diese Künstler Euch und Eure Musik beeinflusst haben? Gibt es weitere Einflüsse, die Ihr gerne nennen würdet?

    "Wir sind große Fans von 65daysofstatic

    LIK: Red Sparrowes und Mogwai schätzen wir besonders wegen ihrer wundervollen Gespürs für musikalische Landschaften. Die frühen Russian Circles für ihre Melodien und ihre Power. Außerdem sind wir große Fans von 65daysofstatic und der Arbeit von Vangelis. pg.lost sind ebenfalls wichtig für uns. Bei ihnen ist es die Art, wie sie ihre Songs aufbauen.

    Anne: Was meint Ihr: Sollten mehr Menschen Post-Rock hören?

    LIK: Wir müssen mal das DUNK! Team fragen, ob sie bereit sind eine riesiges Festival auf die Beine zu stellen, wenn Post-Rock groß rauskommt, haha! Aber sicher! Die Art und Weise, wie Post-Rock in Deine Seele eintaucht und dich kraftvolle Dinge fühlen lässt ist doch fantastisch - jeder sollte ein Post-Rocker sein!

    Anne: Neben dem, was Du gerade gesagt hast: Was macht Post-Rock so besonders?

    LIK: Mal abgesehen von der Musik: Wir finden, dass die Post-Rock Szene insgesamt etwas ganz Besonderes ist. Sie ist großartig. Innerhalb anderer Musik-Szenen haben wir nie so großartige Menschen getroffen.

    Anne: Apropos andere Musik-Szenen: Was sind Eure liebsten Genres?

    "Wir lieben elektronische Musik"

    Bild/picture: Helen MessengerLost in Kiev. Bild/picture: Helen Messenger

    LIK: Wir lieben elektronische Musik wie die von Jon Hopkins, Rone, Apparat, Rival Consoles und Neo-Klassik wie Nils Frahm und Ben Lukas Boysen.

    Anne: Was versetzt Euch in einen kreativen und produktiven Zustand, wenn Ihr an neuer Musik arbeitet?

    LIK: Vor der COVID-19 Pandemie haben wir häufig einwöchige Studio Sessions gemacht, um Musik zu machen und neue Sound-Experimente auszuprobieren. Es war und ist sehr wichtig für uns, unseren kreativen Prozess auf diese Art zu beginnen. Im Moment machen wir das, indem wir unsere Audio-Aufnahmen teilen und in Kontakt bleiben. Als Band brauchen wir diesen gemeinsamen Geisteszustand, um als Lost in Kiev kreativ sein zu können.

    Anne: Eure Musik ist sehr facettenreich. Ihr kombiniert elektronische Sounds mit harten Post-Metal Elementen und deepen und langsamen und melodischen Parts. Woraus zieht Ihr Eure Inspiration?

    Jede unserer Platten hat ein Thema

    LIK: Jede unserer Aufnahmen beginnt mit einer Idee, einem Thema. Bevor wir mit dem Komponieren beginnen, müssen wir wissen, welche Geschichte wir erzählen wollen. Diese Geschichten spiegeln viele unterschiedliche Emotionen wider, die wir mit dem Kombinieren von Sounds und Power-Texturen zu Ausdruck zu bringen.

    Anne: Die Vocal-Parts in Euren Songs sind etwas ganz Besonderes. In "Narcosis" und in "Pygmalion" zum Beispiel kann man zwei Menschen im Dialog miteinander hören. In anderen Songs ist es mehr, als würde jemand im Hintergrund flüstern. Das ist sehr charakteristisch für Eure Musik. Ihr integriert das auch sehr kunstvoll in Eure Live-Shows. Wann hattet Ihr diese Idee und wann habt Ihr entschieden, dass es Teil Eurer Kunst ist und sie komplettieren wird?

    Yonan Vermeulen. Bild/picture: Lost in KievLost in Kiev. Bild/picture: Julien Dupeyron

    LIK: Das Konzept mit unseren Dialogen haben wir seit "Motions". Also von Anfang an. Einige Post-Rock-Bands nutzen Samples aus Filmen, Video-Spielen oder Fernsehshows. Wir wollten unsere eigenen haben, weil sie für uns die einzige Möglichkeit sind unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Unser Drummer Yonan hat es geschafft, sie visuell perfekt in unsere Shows einzubinden.

    Anne: Wessen Stimmen sind das? In einigen Eurer Videos habe ich das Gesicht einer Frau gesehen. "Insomnia" zum Beispiel. In dem Stück, das Ihr mit Ef im Le Batofar in Paris gespielt habt, war sie auch mit Euch auf der Bühne. Ich habe gelesen, sie heißt Nizza? Ist sie ein Mitglied von Lost in Kiev?

    "Wir arbeiten mit Schauspieler*innen zusammen"

    LIK: Für "Motions" haben wir die Stimmen von Freund*innen (auch die von Nizza) aufgenommen, aber für "Nuit Noire" und "Persona" wollten wir etwas Professionelleres. Wir arbeiten jetzt mit Schauspieler*innen zusammen, die unsere Stimm-Samples einsprechen.

    Anne: Die Lage ist im Moment weltweit ziemlich angespannt. Ungeachtet der Pandemie schließen sich immer mehr Menschen Protesten und Demonstrationen an - mit gutem Grund! Überall gibt es Gewalt und wann immer man den Fernseher einschaltet, sieht man Despoten, die ihre Macht demonstrieren. Wenn Ihr die Möglichkeit hättet, eine⋆r Politiker⋆in Eurer Wahl die Meinung zu sagen: Was würdet Ihr ihm⋆ihr sagen?

    LIK: Auch, wenn wir politische Aspekte in unserer Musik eher vermeiden, enthält "Persona" eine Menge Warnungen vor den Gefahren unserer aktuellen Welt. Wir würden ihm⋆ihr sagen, menschlicher zu sein und sich daran zu erinnern, dass alles noch schneller zusammenbricht, wenn Respekt und Humanität einfach ignoriert werden.

    "Es wird bald neue Songs geben"

    Anne: Was steht für Lost in Kiev als Nächstes auf dem Plan?

    LIK: Im Moment arbeiten wir an unserem vierten Album. Also freu Dich auf neue Songs! Vielleicht wird man einige davon 2021 auf unserer Tour hören!

    Anne: Nochmal vielen herzlichen Dank für Eure Zeit! Es war ein großes Vergnügen, Euch besser kennenzulernen!

    LIK: Danke Anne für Deine tollen Fragen! Wir sehen uns auf dem DUNK!

    Lost in Kiev gründeten sich 2007. In der aktuellen Besetzung (Gitarre: Dimitri Denat, Gitarre & Synth: Maxime Ingrand, Bass & Synth: Jean Christophe Condette, Drums: Yonan Vermeulen) tritt die Post-Rock-Band seit 2011 auf. Nach "Motions" (2012) und "Nuit Noire" (2016) ist "Persona" das dritte Lost in Kiev Album in Studiolänge.

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